Nicht zu Ende gedacht!

Einer der Fußballmütter des Heimatvereins meines Großen arbeitet bei der Jugendnothilfe unserer Stadt. Sie betreut dort vor allem Familien mit Kleinkindern von 0 bis 3 Jahren. Oft genug passiert es, dass trotz aller Betreuung Kinder aus den Familien herausgenommen werden müssen. In diesem Fall kommen sie zuerst in eine zentrale Notbetreuung, von dort in eine Übergangspflegefamilie, um dann, so denn keine Besserung in der Stammfamilie in Sicht ist, in eine Langzeitpflegefamilie vermittelt zu werden.

Nun gibt es in unserer Stadt eine überdurchschnittlich hohe Zahl solcher Fälle. Zum einen, weil der Anteil der sozial schwachen Familien über dem bundesweiten Durchschnitt liegt. Zum Anderen, weil die Nähe zum osteuropäischen Ausland die Zahl der Crystal-abhängigen Eltern kontinuierlich steigen lässt. Wiederholt sind in der Vergangenheit kleine Kinder gestorben, weil ihre Eltern vollgedröhnt oder gar tot nicht mehr in der Lage waren, sich ausreichend um die Kinder zu kümmern. Das hiesige Jugendamt ist daher entsprechend sensibel und nimmt Kinder lieber zu früh als zu spät aus den Familien.

Besagte Mama arbeitet als Psychologin mit allen Beteiligten und erzählte mir während der letzten Fußballtrainings von ihrer Arbeit und auch davon, dass händeringend Pflegefamilien gesucht werden. Da ich aktuell auf Jobsuche bin und mich im Hinterkopf immer wieder mal mit dem Gedanken getragen habe, ein Pflegekind aufzunehmen, hörte ich aufmerksam zu und dachte ausgiebig über diese Option nach.

Letztendlich musste ich mich aber dagegen entscheiden und dies hat folgende Gründe:

  1. Während der Betreuungszeit wird kein Rentenanspruch aufgebaut.
    Wenn man als natürliches Elternteil in Elternzeit geht, um sich Vollzeit um das eigene Kind zu kümmern, bekommt man in dieser Zeit den durchschnittlichen Verdienst aller Deutschen als Rentenpunkte gutgeschrieben. Dies soll verhindern, dass die Kinderbetreuung die spätere Rente unnötig mindert.
    Betreut man allerdings ein Pflegekind, werden keine Rentenpunkte gutgeschrieben. Dies ist insofern problematisch, als das das Pflegeelter für die Pflege keiner geregelten Arbeit nachgehen darf.
    Der Träger, hier die Diakonie, gibt zwar einen Anteil (aktuell 40€ pro Monat) zu einem Rentenvorsorgeplan dazu, wer aber mal geschaut hat, wie viel Geld pro Monat eingezahlt werden muss, um einen Rentenpunkt zu bekommen, sieht sofort die eklatante Diskrepanz.
  2. Fehlende Krankenversicherung.
    Wenn man als Pflegeelter verheiratet ist, kann man sich über den Ehepartner familienversichern lassen. Ist man allerdings alleinstehend oder ist aus einem anderen Grund eine Familienversicherung nicht möglich, muss man sich selbst krankenversichern. Dies beträgt je nach Krankenkasse und Tarif um die 130€ im Monat.
  3. Kein zusätzliches Kindergeld.
    Der Träger behält das Kindergeld ein und verrechnet es quasi mit der Aufwandsentschädigung.
  4. Kein Pflegekind, kein Geld.
    Die Kurzzeitpflege ist eine Übergangslösung, es ist also normal, dass Kinder nach ein paar Wochen oder wenigen Monaten wieder gehen. Dann muss man als Pflegefamilie auf ein neues Kind warten. Während der Wartezeit erhält man kein Geld. Da man nicht absehen kann, wann ein neues Kind Hilfe benötigt, muss man selber sehen, wie man über die Runden kommt. Zwar sagt oben erwähnte Mutter, dass die längste Wartezeit während ihrer Betreuung 6 Wochen betrug, aber diese 6 Wochen müssen auch erstmal überbrückt werden.
  5. Zu schlechte Entlohnung.
    Aktuell gibt es hier etwas mehr als 1.500€ pro Monat für die Betreuung eines Pflegekindes. Dabei entfallen 500€ auf die Bedürfnisse des Kindes (Kleidung, Nahrung, Windeln, anteilige Miete, etc.), der Rest ist die Aufwandsentschädigung, wobei nicht nachgewiesen werden muss, dass man wirklich die 500€ dem Kinde zugute kommen lassen hat.
    Wenn ich jetzt bedenke, dass wir ca. 1.600€ von mir + das Gehalt meines Mannes benötigen, um halbwegs mit 2 Kindern um die Runden zu kommen, sind die 1.500€ für letztendlich 3 Kinder doch etwas mickrig. Zumal es keinerlei zusätzliche Zuwendungen gibt. So müssen der Urlaub oder andere Sonderlocken allein aus diesem Budget bestritten werden.

Es steht außer Frage, dass man für diese oft traumatisierten Kinder rund um die Uhr zur Verfügung stehen muss. Aber dann sollte sich dies auch finanziell niederschlagen, sowohl in der monatlichen Aufwandsentschädigung als auch beim Rentenbeitrag. In der aktuellen Form geht Pflegefamilie nur, wenn der Partner einen entsprechend einträglichen Job hat und/oder man mit sehr viel Idealismus gesegnet ist. Beides ist bei uns nicht der Fall und damit fällt die Option Pflegefamilie flach.

Schade!

4 Kommentare zu “Nicht zu Ende gedacht!

  1. Oh, danke für deinen Beitrag. Ich hatte mich noch nie mit dem Thema beschäftigt, hatte mir das aber auch irgendwie ganz anders vorgestellt.

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  2. SDN sagt:

    Wer ein Pflegekind als Einkommensquelle sieht, der sollte tatsächlich Abstand von dieser Idee nehmen. Es „lohnt“ sich in finanzieller Hinsicht nicht. Der menschliche Lohn ist dafür ungleich größer.
    Davon mal abgesehen werden (zumindest bei uns) keine Pflegeeltern aufgenommen, die von diesem „Einkommen“ abhängig wären.
    Dass man nichts für die Rente bekommt, ist sicherlich ein Manko. Die Kankenversicherung sehe ich da wesentlich weniger kritisch – immerhin zahlt man auf die Aufwandsentschädigung keine Einkommensteuer…
    …und jetzt mal ehrlich: es ist schon ziemlich gemein, dass du allen Ernstes nicht garantiert immer belegt sein kannst…die Wartezeiten dazwischen, unglaublich…da gibt es doch tatsächlich nicht immer ein passendes Kind in Not für Dich, das Dein Einkommen sichern könnte…tss…

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    • xayriel sagt:

      Wie schrecklich, dass ich finanziell abgesichert sein möchte, um mich uneingeschränkt um diese Kinder in Not kümmern zu können. Deiner Meinung nach sollen also nur gut situierte Menschen Pflegekinder aufnehmen dürfen. Dies wird den Kindern natürlich ein realistisches Bild der Welt vermitteln und der Übergang zurück in die eigene Familie oder in eine stinknormale Arbeiterpflegefamilie wird ganz einfach gelingen.
      Was das Geld während der Überbrückungszeit angeht: zynischer geht deine Meinung gar nicht. Selbstverständlich wäre mir eine Welt lieber, in der solche Pflegestellen gar nicht erst benötigt würden, weil alle Kinder in liebevollen und behüteten Familien aufwachsen. Da die Welt aber so nunmal nicht ist und diese Stellen händeringend gebraucht werden, der Bedarf aber schwankend ist, sollte es eben auch eine Lösung für die Bereitschaftszeit geben. Ist bei allen anderen Berufen auch so.

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  3. Ich finde den Kommentar von SDN auch zynisch. Nach dieser Argumentation dürften auch Ärzte, Alten- und Krankenpfleger, Erzieher und Lehrer kein Geld für ihre Arbeit bekommen. Und das mit dem „menschlichen Lohn“ ist auch so eine Sache für sich – eine Bekannte hat längere Zeit zu ihren eigenen zwei Grundschulkindern immer wieder ein Kurzzeitpflegekind aufgenommen, auch mehrmals dasselbe. Das ist eine Herausforderung, die nicht mit der Erziehung eigener Kinder vergleichbar ist – es geht um Kinder, die Dinge erlebt haben, die auch für Erwachsene kaum erträglich sind! Dazu kommt, dass sie nicht bleiben – z.B. war es für sie äußerst schmerzhaft, ein Kind wieder zu seiner depressiven (inzwischen etwas erholten) Mutter zurückzubringen, bis zum nächsten Mal…
    Dann gab es ein Kind, das dauerhaft bleiben sollte, knapp vier Jahre alt. Er hatte panische Angst vor allem, was an das Grölen betrunkener Männer erinnerte, brauchte Monate, um zuzulassen, dass seine neue Mama auch nur aus dem Zimmer ging und ebenso lange, um bei den Mahlzeiten nicht mehr alles so schnell wie möglich in sich hineinzustopfen, weil man ja nie wissen kann, wann es das nächste Mal etwas zu essen gibt.
    Mit dem Schulanfang zwei Jahre später wurde dann alles Erreichte plötzlich wertlos, das Kind störte permanent, die Lehrer waren überfordert, die Eltern der Mitschüler beklagten sich, er begann zu klauen und auszureißen – und es gab keine wirkliche Unterstützung, keine Hilfe vom Jugendamt, keine psychologische Beratung, nichts.
    Irgendwann fiel dann die Entscheidung, schweren Herzens, dass er in eine betreute Wohngruppe zieht. Er hat über Jahre noch Kontakt gehalten.
    Es mag Menschen geben, die intuitiv psychotherapeutisch und pädagogisch optimal arbeiten können. Die Aufgabe, die Kurzzeitpflegeeltern übernehmen, braucht aber sehr viel mehr Energie, Wissen und Einsatz als die Erziehung eigener Kinder – und schon das ist nichts, was man so nebenbei macht!
    Für diese Arbeit sollten Menschen dementsprechend ausgebildet und selbstverständlich angemessen bezahlt sowie kranken- und rentenversichert werden.

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