Sie werden so schnell groß

Der Große ist jetzt 9 Jahre alt. Die Kleene 4.

Seit einem guten Jahr geht der Große allein zur Schule und vom Hort wieder nach Hause. Er darf alleine in die Bibliothek um die Ecke gehen, um sich dort Bücher auszuleihen. Eventuelle Strafgebühren darf er von seinem Taschengeld bezahlen.

Sein Taschengeld beträgt 3€ pro Woche, entsprechend seiner Klassenstufe, wird also jeden Sommer automatisch erhöht. Um sein „Einkommen“ aufzubessern, darf er aller zwei Wochen den Hausflur fegen, gibt 2€, falls er anfängt, ihn auch noch zu wischen, bin ich bereit 5€ zu zahlen. Mit seinem Taschengeld darf er machen, was er will. Das letzte Mal hat er 12€ für 3 Lego-Zeitschriften ausgegeben.

In der Woche darf, wenn er seinen Ranzen gepackt und alle Hausaufgaben gemacht hat, runter in den Hof und dort bis 18:30 Uhr spielen. Am Wochenende darf er ebenfalls raus in den Hof, aber dann mit seiner Schwester, muss auf sie ein Auge haben und sie dürfen nur im hinteren Teil spielen. Heimkommzeit ist dann 18 Uhr. Der Hof ist eingezäunt und wenn irgendwas sein sollte, dann reicht Klingeln und wir sind sofort unten.
Bislang funktioniert dieses Arrangement reibungslos.

Heute durfte er das erste Mal zu einem Freund nach Hause gehen. Ich habe ihm extra einen Zettel für den Hort mitgegeben, dass er den Hort, anstatt wie üblich 16:30 Uhr, bereits um 15 Uhr verlassen darf. Er ging dann zu Bruno, zusammen mit Erik, weil Bruno eine Playstation mit 3 Controllern hat. Dort haben sie Minecraft gezockt, bis er um 18:30 Uhr nach Hause musste. Klappte tadellos.

Manchmal mache ich mir Sorgen, dass ihm auf den Wegen was passiert, er im Einkaufszentrum beklaut wird oder er von einem Auto angefahren wird. Andererseits zog ich, seit ich denken kann, in unserem gesamten Viertel (mal grob übern Daumen gepeilt so um die 9 km²) um die Häuser und besuchte reihum alle meine Klassenkameraden. OK, anderes Land und andere Zeit, aber Autos und doofe Menschen gab es auch schon damals.

Ich erinnere mich an die Infoveranstaltung im Februar, wo über die Schulformen und Bildungswege informiert wurde (Quintessenz: schicke dein Kind nur aufs Gymnasium, wenn es intellektuell und persönlich reif genug dafür ist; Mittelschule ist keine Schande.). Ein Junge, kaum größer und älter als der Rabauke erzählte, wie er jeden Tag mit der Straßenbahn quer durch die Stadt fährt, um in seine Sport(mittel)schule zu kommen. Mir machte das Angst.

Freunde von uns eskortierten ihre Tochter jeden Tag zur Schule, bis sie mit 14 oder 15 sagte, dass es sie nervte. Das Mädchen hatte vor allem Angst, traute sich kaum was zu und war unsicher wie sonstwas.
Wenn ich hingegen meinem Großen sage, dass eine Filiale unseres Lieblingsbäckers keine 100m entfernt aufgemacht hat und er jetzt wochenends die Brötchen holen darf, rollt er mit den Augen und meint, „och nö, das ist langweilig“.

Fazit: Elternsein ist eine ständige Gratwanderung zwischen Freiheiten ermöglichen und Schutz bieten.
Und ja, sie werden viel zu schnell groß!

Verkackt

Ich hab’s verkackt. Mal wieder.

Am 21.03. – einen Tag nach dem Geburtstag meiner Tochter, wo ich mir vorsorglich frei genommen hatte – bekam ich die Kündigung.
Wirklich überraschend kam das für mich nicht, ich selbst hatte damit gerechnet und mir gesagt, dass wenn ich diesen Tag überstehen würde, wäre ich quasi durch – wenn nicht, dann eben nicht.

Das Doofe an Depressionen ist, dass sie meist schleichend kommen und gehen, sich zwischendurch immer mal wieder gut getarnt verstecken, nur um dann urplötzlich aus dem Versteck zu springen und laut „Buh“ zu rufen.

An sich war der Job echt cool. Ich hatte spannende Themen, konnte viel Neues lernen und die Kollegen waren größtenteils auch nett. Ich fühlte mich recht wohl, aber war null leistungsfähig.

So sollte ich beispielsweise Ausschreibungen suchen, auf die sich die Firma bewerben konnte. Die entsprechenden Portale und Suchparameter hatte ich mir mühsam zusammengesucht, nun mussten nur noch die Suchergebnisse ausgewertet und die passenden Treffer gelistet werden. Tja, und das hab ich nicht hinbekommen. Ich starrte auf den Bildschirm und 3 Stunden später starrte ich immer noch auf die gleiche Stelle.

Jeden Morgen ging ich auf Arbeit und nahm mir vor: „Heute packst du es, heute stellst du die Liste zusammen.“ Abends nahm ich mir genau das selbe für den nächsten Tag vor, weil ich es mal wieder nicht gepackt hatte. Wenn es hoch kam, habe ich vielleicht 10 Stunden produktiv pro Woche gearbeitet. In einer kleinen Firma mit nur 60 Angestellten fällt das auf, da konnte ich nicht in der Masse verschwinden.

Es war nicht so, dass mich die Aufgaben an sich überforderten, dass ich das Wissen oder die Fähigkeiten nicht hatte. Ich konnte schlicht nicht.
Oft sah ich mir quasi selbst von außen bei meinem Versagen zu. Ich sah das Licht am Ende des Tunnels und wusste, dass das der entgegenkommende Zug war. Und wie das Kaninchen vor der Schlange erstarrte ich und wartete auf den Aufprall.

Auch, wenn ich das alles geahnt habe, war die eigentliche Kündigung nochmal ein richtiger Tiefschlag. Es zog mir komplett die Füße weg. Wie betäubt wandelte ich die nächsten paar Tage rum. Ich konnte gerade noch so meinen Arbeitslosenantrag stellen, bevor mich meine Kräfte endgültig verließen.

Eine Freundin schickte mir aus heiterem Himmel einen Link zu einem Verein, welcher depressive Menschen beim Kontakt mit Behörden unterstützt, da sie wissen, dass genau solch persönliche Interaktion mitunter eine Sache der Unmöglichkeit ist. Dazu packte sie noch einen Link zu einem Blog, wo ein Betroffener schilderte, wie er erfolgreich einen Antrag auf 50% Grad der Behinderung gestellt hatte.

Immerhin war dies ein Ziel bzw. eine Möglichkeit. Nach langer Überwindungsphase rief ich bei meiner Psychiaterin an (Telefonieren ist ja auch noch so eine Baustelle) und bekam überraschenderweise gleich am nächsten Tag einen Termin. Vermutlich hatte ein anderer Patient abgesagt, weil in unserer Stadt an diesem Tag der Öffentliche Nahverkehr bestreikt wurde.
Die Psychiaterin unterstützte meinen Vorschlag wegen der Behinderung, obwohl sie mir wenig Hoffnung machte, dass es bei mir für 50% reichen würde. Sie schrieb mich zudem krank, damit ich den ganzen Ärger mit dem A-Amt nicht mehr an der Backe hätte und vor allem, damit ich keine Bewerbungen schreiben und Absagen kassieren müsste. Sie erhöhte meine Sertralin-Dosis von 100 auf 150 mg. Und sie setzte mich auf die Warteliste für eine hier sehr renommierte Tagesklinik, wo ich in ca. einem Monat noch mal anrufen und nachhaken sollte. Ob es wirklich tagesklinisch geht, hängt davon ab, wie die Therapeuten meine Bulimie bewerten.

Während der 3 Monate im Job hatte ich immer wieder mal mehr, mal weniger schwere Rückfälle, die aber schlagartig nach der Kündigung aufhörten. Nun ist so eine intensive Therapie recht stressig und kann gut neue Rückfälle triggern. Andererseits möchte ich nicht wirklich stationär gehen, da dann mein Mann die Woche über alleine mit den Kindern wäre und das ist derzeit eine echte Herausforderung.

Tja, so sieht’s derzeit hier aus. Nicht wirklich dolle. Immerhin ist unsere Wohnung Hartz-IV sicher, was – so blöd es klingen mag – eine Menge Druck von mir nimmt.

Letztendlich ist aber dennoch jeder Tag ein elender Überlebenskampf!