Heute hatte ich wieder einen Gerichtstermin als Schöffin. Auf dem Programm stand ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Hört man auch nicht aller Tage und ich war entsprechend gespannt auf das Verfahren.
Da das Verfahren abgeschlossen und das Urteil rechtskräftig ist und außerdem im Zuge eines Rechtsgesprächs (in amerikanischen Gerichtsserien wird das gerne als „Deal“ bezeichnet) gefunden wurde, denke ich, dass es meiner Unbefangenheit als Schöffe nicht im Wege steht, wenn ich darüber berichte.
Wie bei diesem Richter üblich, erklärte er den Schöffen im Richterzimmer vor der Verhandlung, worum es im Groben geht, mit welchen Schwierigkeiten er rechnet und wie lange die Verhandlung ungefähr dauern wird. Dieses Mal bereitete ihm der Verteidiger Kopfschmerzen, der im Vorfeld angekündigt hatte, gegen die Hausdurchsuchung, bei der die belasteten Beweise gefunden wurden, Beschwerde wegen Unrechtmäßigkeit einzulegen. Daher rechnete der Richter damit, jede Menge Anträge zu bekommen, welche er dann bewerten und zulassen oder ablehnen muss. Dazu müssten sich die Richter, also auch die Schöffen, jedesmal ins Richterzimmer begeben, entscheiden, zum Gerichtssaal zurücklaufen und die Entscheidung verkünden. Um vermutlich keine 5 Minuten später das gleiche Prozedere erneut durchzuführen. Entsprechend viel Vorarbeit hatte der Richter an den Tag gelegt und um die 5 Seiten an Argumenten zusammenzutragen, um alle möglichen Anträge schnell bearbeiten zu können.
Während er uns alles noch erklärte, stand plötzlich der zugehörige Staatsanwalt im Raum. Auch er war auf den spitzfindigen Verteidiger eingestellt, wollte aber viel lieber ein kurzes Verfahren und eine zügige, angemessene Verurteilung. Richter und Staatsanwalt besprachen die Möglichkeiten, welche ihnen durch die Gesetze zur Verfügung standen, einigten sich auf eine Alternative und der Staatsanwalt wollte vor der Verhandlung nochmals mit dem Verteidiger sprechen, um ihn vielleicht doch noch in letzter Minute zu einem Umdenken und mehr Einsicht zu bewegen.
Kurz darauf fanden sich alle Beteiligten im Gerichtssaal ein und der Staatsanwalt begann die Anklageschrift zu verlesen: Im Rahmen einer Hausdurchsuchung vor 2 Jahren wurden beim Angeklagten in der Wohnung 10 Stück Munition verschiedenen Kalibers gefunden. Zwei dieser Patronen waren NATO-Munition für das G36 und damit wurde aus dem Munitionsfund automatisch ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
Nach der Verlesung der Anklageschrift und der Feststellung der Personalien des Angeklagten bat der Verteidiger um ein Rechtsgespräch. Nun hab ich schon einige Verhandlungen mitgemacht und dabei auch jede Menge juristischer Besonderheiten kennengelernt, aber ein solches Gespräch war mir neu.
Der Angeklagte und die Gerichtsschreiberin mussten den Raum verlassen und dann besprachen Staatsanwalt und Verteidiger unter Aufsicht des Richters das mögliche Strafmaß und die dazu notwendigen Voraussetzungen.
Da der Angeklagte Zeitsoldat ist, und eine Verurteilung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz eine Mindeststrafe von einem Jahr nach sich zieht, was wiederum das sofortige Ende seiner Karriere bei der Bundeswehr bedeutet hätte, wollte der Verteidiger erreichen, dass von einem minderschweren Fall ausgegangen wird, dessen Strafmaß deutlich geringer ausfällt und von einer Geldstrafe über Bewährung bis zu einer Haftstrafe von maximal 3 Jahren führen kann. Relativ schnell waren sich alle Beteiligten einig, dass eine Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen angemessen wäre, vorausgesetzt, der Angeklagte legte ein vollumfassendes Geständnis ab, verzichtete auf die Herausgabe der beschlagtnahmten Beweismittel und zeige sich aufrichtig reuig.
Wir Schöffen saßen schweigend da und beobachteten fasziniert das Geschehen.
Der Angeklagte und die Protokollantin wurden wieder hereingerufen, wobei der Verteidiger um 3 Minuten Besprechungszeit mit seinem Mandanten bat, welche ihm natürlich gewährt wurde.
Danach begann das eigentliche Verfahren. Der Angeklagte räumte alle Vorwürfe ein und wollte auch nichts von den Beweismitteln zurückhaben.
Der als Zeuge einbestellte Vorgesetzte, ein Major, dem der Angeklagte gebeichtet hatte, wie er zu der Munition gelangte, wurde wieder heim geschickt, da seine Aussage durch das Geständnis des Angeklagten hinfällig geworden war.
Wir schauten uns noch Bilder an, die bei der Hausdurchsuchung gemacht wurden. Es stellte sich heraus, dass der Angeklagte die Patronen hübsch dekorativ zentral mittig in seiner Anbauwand platziert hatte. Damit konnte von einem Versehen beim besten Willen nicht ausgegangen werden. Bei der Durchsuchung wurde auch ein Kleinkaliberluftgewehr gefunden, das sich aber rechtmäßig im Besitz des Soldaten befand.
Danach wurde das Gutachten über die gefundene Munition verlesen, welches bestätigte, dass 2 Patronen für das G36 waren, ein paar Patronen waren kleineren Kalibers und fielen unter das Waffengesetzt und die restlichen waren entweder Platzpatronen oder leere Patronenhülsen ohne Projektil und Treibladung.
An sich wäre hier die Beweisaufnahme beendet gewesen, aber der Richter hatte vorsorglich zwei Polizeibeamte geladen, die die Hausdurchsuchung durchgeführt hatten. Einer von den Beamten hatte allerdings genörgelt, dass ihm der Termin so gar nicht passe, weil er an diesem Tag eine Weiterbildung hätte, aber der Richter bestand auf den Termin und betonte die Priorität, welche die Rechtsfindung in seinen Augen hätte. Jetzt die Polizisten unverrichteter Dinge gehen zu lassen, hätte wahrscheinlich den nie enden wollenden Unmut des Polizisten nach sich gezogen, weswegen er diese trotz augenscheinlicher Unnötigkeit dennoch vernehmen wollte. Er erklärte dies den Beteiligten und sie hatten keine Einwände, sind ja doch alles nur Menschen.
Der Durchsuchungsleiter wurde aufgerufen und machte seine Aussage. Die Wohnung war zum Zeitpunkt der Durchsuchung menschenleer, die Patronen lagen in der Anbauwand, wurden eingetütet, fertig.
Der zweite Polizist, der ebenfalls an der Durchsuchung beteiligt war, bestätigte diese Aussage, fügte aber noch hinzu, dass er es war, der das Kleinkalibergewehr gefunden hatte.
Beide wurden unvereidigt entlassen und damit war die Beweisaufnahme beendet.
Der Angeklagte wurde noch über seine persönlichen Verhältnisse und beruflichen Werdegang befragt und der Bundeszentralregisterauszug verlesen, der aber ohne Einträge war, er also keine Vorstrafen hatte.
Beruflich wollte er unbedingt bei der Bundeswehr bleiben, er würde auch demnächst befördert werden, wenn das Verfahren beendet wäre und er ohne Vorstrafe davon kommen würde. Die entsprechenden Formalien waren bereits alle erledigt, jetzt hing alles nur noch vom Urteil ab. Nach dem Ablauf seiner Dienstzeit wollte er mit dem beruflichen Wiedereingliederungsprogramm der Bundeswehr (das heißt wohl offiziell anders) den Meister in seinem ursprünglich erlernten Beruf machen, um dann beruflich abgesichert zu sein und durchstarten zu können.
Es wurden noch die Einkünfte erfragt, welche wichtig sind für die Bemessung des Tagessatzes. Als Soldat ist sein Bruttoeinkommen vergleichsweise niedrig, da aber diverse Steuern nicht fällig werden, beträgt das Nettoeinkommen ca. 3/4 des Brutto und ist damit wiederum ganz anständig, wenn auch nicht allzu üppig.
Der Staatsanwalt verlass sein Abschlußplädoyer, welches eben jene vorher vereinbarte Strafe von 90 Tagessätzen forderte. Der Verteidiger schloss sich dem Strafmaß an, versuchte aber, die Höhe des Tagessatzes ein wenig zu drücken.
Der Angeklagte hatte das letzte Wort. Er räumte erneut die Tat ein, bedauerte sie aufrichtig und nannte sie „den größten Fehler seines Lebens“.
Die Richter zogen sich zur „Urteilsfindung“ zurück. Im Richterzimmer schaute der Richter im Gesetzestext nach, wie hoch der Tagessatz angesetzt werden müsse, denn auch dies ist per Gesetz geregelt und liegt nicht im Ermessensspielraum des Richters. Es stellte sich heraus, dass die vom Staatsanwalt geforderte Tagessatzhöhe dem Angeklagten sogar ein wenig entgegenkam, weswegen dem Anliegen des Verteidigers nicht statt gegeben werden konnte.
Der Richter tippte schnell das Urteil am Rechner und druckte es aus, dann ging es zurück zum Verhandlungssaal.
Der Richter verlass das Urteil: „90 Tagessätze wegen minderschweren Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetzes“.
Zur Begründung meinte der Richter, dass es sich letztendlich nur um 2 Patronen gehandelt habe. Wären Gewehre oder Granaten dabei gewesen, hätte die Verurteilung strenger ausfallen müssen. So könne man von einem minderschweren Fall ausgehen. Zu Gunsten des Angeklagten würden seine vollumfängliche Einlassung, sein Verzicht auf die Herausgabe der beschlagnahmten Beweismittel und seine aufrichtige Reue sprechen. Gegen ihn spräche, dass er die Unrechtmäßigkeit seiner Handlungen zumindest hätte ahnen können.
Dennoch wäre die Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen schuld- und strafangemessen.
Da sowohl Staatsanwalt als auch Verteidigung auf Rechtsmittel verzichteten, war das Urteil sofort rechtskräftig.
Und warum war das jetzt dumm gelaufen?
Meine letzte Verhandlung vor der heutigen drehte sich um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Im Zuge des Verfahrens stellte sich heraus, das ein nicht unbedeutender Drogenschmuggler vor zwei Jahren aufgegriffen worden war und in einem Anfall von biblicher Reue oder satanischer Besessenheit ein dermaßen umfangreiches Geständnis ablegte, dass damit ein größerer Teil des örtlichen Drogensumpfes trocken gelegt werden konnte. Der Schmuggler selbst wurde zu über 5 Jahren verurteilt, von ihm beschuldigte Beteiligte zu insgesamt über 20 Jahren Gefängnis.
Er ging sogar soweit, seine eigene Ehefrau anzuschwärzen, bei deren Verhandlung ich zugegen war.
Und wie kommt da jetzt ein unbescholtener Soldat ins Spiel?
Er hatte sich verliebt. Wie so häufig in die falsche Frau. Denn diese Frau hatte dem obigen Schmuggler angeblich Waffen zum Verkauf angeboten. Als der Schmuggler alles gestand, geriet auch die Frau in den Fokus der Ermittlungen und es stand zu befürchten, dass sie die vermuteten Waffen in der Wohnung ihres Freundes verstecken würde. Daher wurde ein Durchsuchungsbefehl für dessen Wohnung ausgestellt, bei dessen Vollstreckung eben jene Munition gefunden wurde.
Selbstredend ist der Angeklagte nicht mehr mit dieser Frau zusammen.
P.S.: In einem privaten Nachwort im Richterzimmer meinte der Richter, dass man bei fast keinem Zeitsoldaten der Bundeswehr eine Hausdurchsuchung durchführen dürfte, weil da wohl jedes Mal unerlaubte Munition auf dem Kaminsims zutage treten würde.
Unsereines sammelt Magneten von hübschen Urlaubsorten, Soldaten eben Munition von hübschen Gewehren 😉