Absicht

So richtig habe ich das gestrige Gespräch noch nicht verdaut. Dauernd muss ich daran denken, was das eigentliche Ziel  sein sollte. Ich habe Ewigkeiten wach gelegen und immer wieder kreisten die gleichen Fragen in meinem Kopf herum. Seltsame Träume begleiteten mich durch die Nacht, die nach nur 5 Stunden Schlaf vorbei war.

Was zur Hölle bezweckte mein Chef mit dem Gespräch? Was war die Absicht dahinter?

Wollte er wirklich herausfinden, ob eine mögliche psychologische Komponente meine Fehltage begünstigt?

Wollte er mir einen Schuss vor den Bug geben? Wollte er mich warnen, dass übermäßiges blau machen doch auffällt? Mich auf eine seltsame verschlungene Art motivieren?

Erwartet er, dass ich jetzt nicht mehr krank werde? Oder dass ich mich krank zur Arbeit schleppe, um dann hier die halbe Belegschaft anzustecken? Soll ich meine Kleene aus dem Kindergarten nehmen, damit sie dort nicht mehr den vielen Viren ausgesetzt ist? Oder meinen Großen vom Verein abmelden, um so das Risiko möglicher zukünftiger Verletzungen zu senken?

All das werde ich nicht tun. Wenn ich krank bin, bin ich krank. Wenn ihm das ärztliche Attest, dass bescheinigt, dass ich zu krank bin, um zu arbeiten, nicht ausreicht, dann ist das sein Problem. Mir hat noch nie ein Arzt den Schein ausgestellt, nur weil ich ein wenig unpässlich war.

Wenn meine Kinder krank sind, werde ich sie pflegen und zwar die jeweils 10 Tage pro Jahr, sofern nötig. Sollte eines meiner Kinder darüber hinaus ins Krankenhaus müssen, so werde ich an der Seite meiner Kinder sein und auf sie aufpassen, egal wie lange es dauert. Meine Familie ist mir hundert, tausend Mal wichtiger als irgendein Job. Und erst recht nicht mehr der aktuelle.

Wenn es meinem Chef zu unsicher ist, dann soll er sich um einen Stellvertreter oder gleich um einen vollständigen Ersatz kümmern. Ich jedenfalls werde nichts an meinem Verhalten ändern und wenn dadurch mein Vertrag nicht entfristet ist, dann ist es eben so.

Ich werde mich nicht erpressen lassen!

Panic Monday – Nachtrag

Das Gespräch war  in etwa das, was ich befürchtet hatte.

Es wurde eröffnet mit „Frau Xayriel, gibt es etwas, was wir als Unternehmen tun können, damit Sie weniger Ausfallzeiten haben?“
Eigentlich ganz nett, aber dann ging es richtig rund. Dieses Jahr hätte ich schon 23 Tage krankheitsbedingt gefehlt, letztes Jahr waren es inkl. Urlaub um die 80 Tage. Wenn man das hochrechnet, werden es dieses Jahr wohl wieder mindestens 60 Tage werden (inklusive Urlaub versteht sich). So viel Abwesenheit ist nicht hilfreich in einer solch verantwortungsvollen Position.

Ich erwiderte, dass weder das Unternehmen noch ich in der Lage sind, diese Fehlzeiten zu beeinflussen, da weder das Unternehmen noch ich vorhersehen können, wann sich eines der Kinder das Bein bricht oder wegen einer notwendigen Operation ins Krankenhaus muss oder ich mir das Steißbein breche oder einen wirklich eklig-hartnäckigen Virus einfange. Um dies zu verhindern, müsste ich ins stille Kämmerlein gesperrt werden, die Kinder dürften nicht zum Training oder in den Kindergarten und überhaupt müsste jeglicher Kontakt zur Außenwelt minimiert werden.

„Aber Frau Xayriel, Sie haben ja auch über Rückenprobleme geklagt und da wurde ja jetzt ein höhenverstellbarer Tisch bestellt.“ – „Ach, wurde das endlich gemacht?“
Das Attest des Betriebsarztes dazu hatte ich noch im alten Jahr erhalten. Ich erzählte dann, was für ein Spießrutenlauf es war, der über ein halbes Jahr dauerte, um das OK für den Tisch zu bekommen und dass, wenn man sich als Unternehmen ein wenig entgegenkommender gezeigt hätte, zwei der letztjährigen Krankheitswochen vermutlich hätten vermieden werden können.

„Aber was machen wir denn nun mit Ihnen?“
„Wenn es Ihnen zu unsicher ist, müssen Sie sich halt nach einem Ersatz umschauen. Die Ausfälle sind wie gesagt nichts, was ich beeinflussen kann oder was ich forciere. Ich sage ja meinem Kind nicht, es soll sich das Bein brechen. Und ich mache auch nicht blau, weil ich gerade keine Lust zum arbeiten habe.“
Mir war das an der Stelle echt zu dusslig.
„Das unterstellen wir Ihnen auch gar nicht.“ Der Einwurf kam einen Zacken zu zügig, um wirklich glaubhaft zu sein.

„Und dann haben Sie ja heute, direkt nach Ihrer Wiederkehr, Urlaub und Freistellungen wegen Schöffentätigkeit beantragt. Das sieht auch nicht sonderlich toll aus.“
„Ich dachte, es wäre von Vorteil, wenn ich die Termine, da sie ja nun bekannt sind, so zeitig wie möglich beantrage, damit sich alle darauf einstellen können. Immerhin sind die Gerichtstermine auch nichts, was ich beeinflussen kann, sondern die werden von außen vorgegeben.“
Dazu erklärte ich noch, dass ich mich bereits 2013 als Schöffe beworben hatte, zu einem Zeitpunkt, wo nicht mal in meinen kühnsten Träumen absehbar war, dass ich hier in dieser Firma landen würde. Mir wurde dann mitgeteilt, dass die Personalabteilung meinte, dass man für solche Tätigkeiten nur 3 Tage im Jahr freigestellt werden muss.* Worauf ich meinte, dass dies spannend ist, da niemand bei Gerichtsverfahren vorher genau sagen kann, wie viele Termine letztendlich benötigt werden und ich bei einem laufenden Verfahren nicht mittendrin sagen kann, dass ich nicht mehr mitmache kann, weil mich die Firma nicht mehr freistellt, weil dann nämlich das gesamte Verfahren neu aufgerollt werden müsste. Fand mein Chef ebenfalls nicht witzig, aber was willste machen?!

Insgesamt lief es also darauf hinaus, dass ich zu viel krank feiere. Ich denke nicht, dass damit mein Vertrag entfristet wird und jede neuerliche Krankheit wird mir über kurz oder lang wieder auf’s Brot geschmiert. Irgendwie weigere ich mich, jetzt zu hoffen und zu beten, dass weder meine Kinder noch ich erneut krank werden, weil ich das für den falschen Weg halte. Menschen werden krank, Menschen werden immer zum unpassendsten Zeitpunkt krank, Menschen haben Kinder, die krank werden, Menschen werden vom Bus angefahren.

Letztendlich fördert ein solches Verhalten doch nur, dass sich die Mitarbeiter todkrank zur Arbeit schleppen, dort die Kollegen anstecken und den Produktionsausfall potenzieren. Und es erzeugt einen Leistungsdruck, der zur innerlichen Kündigung oder zum Burn-out führt und den wieder gerade zu biegen, dauert wesentlich länger, als eine hartnäckige Grippe zu kurieren.

* Eine kurze Internetrecherche hat gezeigt, dass es da keine Begrenzung gibt. Der Arbeitgeber hat den Schöffen freizustellen und der Schöffe darf durch seine Schöffentätigkeit keine beruflichen Nachteile erleiden. Was freue ich mich darauf, dass morgen meinem Chef zu verklickern.